Furchtlähmungsreflex (FLR) und Moro
Der Furcht- Lähmungsreflex entwickelt sich ca. ab der 5.-7. Schwangerschaftswoche und dient vorgeburtlich als Schutz, damit das Baby sich nicht in der Nabelschnur verwickelt. Aus ihm entwickelt sich der Reflex, der den FLR hemmt. Unter der normalen vaginalen Geburt hat der Furcht- Lähmungsreflex die Aufgabe die Sauerstoffversorgung des Gehirns sicherzustellen. Seinen Namen hat dieser intrauterine Reflex aus seiner nachgeburtlichen Einflussnahme, wenn er nicht vom Moro gehemmt wurde: Bei Auslösung des FLRs erstarrt die betroffene Person zu Stein, wobei die Facetten nuancenreich sind und Moro Einflüsse immer vorhanden sind. Der Moro ist nachgeburtlich das Alarmsystem eines Babys: eine unwillkürliche, nicht kontrollierbare, weil vom Hirnstamm ausgelöste körperliche Reaktion auf einen plötzlich auftretenden Reiz. In der Neugeborenen Zeit wird er zumeist ausgelöst durch eine plötzliche Veränderung der Kopfposition in Bezug auf den Rumpf oder auch durch ein plötzliches Geräusch. Die motorische Aktion des Moro Reflexes besteht aus einer Abfolge schneller Bewegungen: Zunächst werden die Arme und Beine in symmetrischer Abduktion vom Körper wegbewegt, wobei der Säugling heftig einatmet. Nach kurzem Erstarren werden Arme und Beine einer Umklammerungsbewegung gleich wieder an den Körper herangeführt und das Baby atmet aus, häufig begleitet von einem Schrei. FLR und Moro sind mit allen Sinnessystemen verbunden, sodass sie weitreichende Spuren im emotionalen und sozialen Leben hinterlassen und auch kognitive Strukturen und Verhalten prägen.
FLR/ Moro bereiten das Nervensystem auf lebensbedrohliche Situationen vor, indem der Körper auf Flucht oder Kampf eingestellt wird. Das System wird unmittelbar in Erregung versetzt, begleitet von einem schnellen Einatmen, einem (kurzen) Erstarren (FLR- Anteil) und einem anschließenden Aufschrecken (Moro-Anteil). Der FLR wird durch den Parasympathikus gesteuert, der Moro, als der Gegenspieler, durch den Sympathikus. Der parasympathische Teil (FLR) setzt die Körperfunktionen herab, was für den Geburtsvorgang beim Durchtritt durch den Geburtskanal durch den Sauerstoffmangel wichtig ist. Das sympathische Nervensystem (Moro) wird aktiviert, wodurch die beiden Stresshormone Cortisol und Adrenalin ausgeschüttet werden. Die Atemfrequenz in den oberen Lungenflügeln steigt an (Hyperventilation), der Herzschlag beschleunigt sich, der Blutdruck steigt, die Haut rötet sich (Moro) oder wird auffallend blass (FLR). Das betroffene Individuum befindet sich in einem Teufelskreis, da die vorhandene Reflexaktivität die Stresshormone anregen, welche wiederum zu einer noch höheren Sensibilität in der Reaktion führen. Auslöser und Reaktion sind Teil desselben Systems und beeinflussen sich wechselseitig negativ. Wenn der Moro ausgelöst wird, werden Stresshormone ausgeschüttet welche langfristig das Immunsystem schwächen. Je stärker der Moro agiert, desto schwächer ist das Immunsystem.
Die durch die Aktivierung des sympathischen Nervensystems erfolgende erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit und Sensibilität lässt uns zwar auf der einen Seite phantasievoll und einfühlsam werden, doch andererseits lösen unbekannte, überraschende Sinneseindrücke und Situationen immer wieder unreife, dem Anlass nicht angemessene Überreaktionen aus. Um mit der unberechenbaren Umwelt fertig zu werden, neigen uns häufig dazu, Situationen kontrollieren oder manipulieren zu wollen. Im Zusammenhang mit der beschriebenen Reizoffenheit, sind viele Schwierigkeiten zu sehen die gemeinhin unter AD(H)S beschrieben werden. Es gibt deutliche klinische Hinweise, dass der Stresslevel der Mutter während der Schwangerschaft, Frühgeburtlichkeit, schwierige Geburtsverläufe, Trennungen von der Mutter nach der Geburt Auswirkungen auf den Prozess der Ausreifung und Hemmung des Moro Reflexes haben können. Dies sind Vorkommnisse, die direkt den kindlichen Organismus beeinflussen und somit für die von Person zu Person individuell unterschiedliche Stressschwelle verantwortlich sein können.
Bewältigt werden kann dieser Zustand auf zwei Arten, je nachdem welcher Anteil höher ist: Bei einem höheren FLR-Anteil wird das betroffene Kind eher mit Rückzug (= Flucht) reagieren, bei einem höheren Moro-Anteil wird das Kind eher mit Aggressionen (=Kampf) reagieren. Der Furcht- Lähmungsreflex FLR wird vom Moro gehemmt und aus der Hemmung des Moros resultiert die Entwicklung der reifen Schreckreaktion. Die Entwicklung der jeweils reiferen Reaktion, hemmt die Aktivierung der vorhergehenden Reaktion.
Neben dieser motorischen Aktion treten aber auch folgende hoch signifikante Begleiterscheinungen auf: Durch das Freisetzen der Stresshormone Adrenalin und Cortisol wird das sympathische Nervensystem und damit die Kampf- oder Fluchtbereitschaft aktiviert. Damit verbunden sind ein Anstieg der Atemfrequenz, eine Beschleunigung des Herzschlags sowie ein Anstieg des Blutdrucks und Rötung der Haut. Er stellt damit den frühesten Bewegungsausdruck von Angst ebenso wie die erste Reaktion eines Babys auf eine Gefahr dar. Er ist von zentraler Bedeutung für das Überleben des Neugeborenen, doch wenn er nicht zur richtigen Zeit gehemmt und in eine erwachsene Schreckreaktion umgewandelt wird, kann er in besonderer Weise die emotionalen Reaktionsmuster und die jeweilige Stressschwelle eines Individuums sein Leben lang mitbestimmen. So können Kinder und auch Erwachsene seelisch und körperlich ständig an der Schwelle zu Kampf- oder Fluchtreaktionen und damit immer in Alarmbereitschaft sein.
Da der Moro Reflex mit allen Sinnessystemen verbunden ist, sind seine Auswirkungen bei nicht zeitgerechter Hemmung ungemein vielfältig. Gemäß seiner grundlegenden Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung eines Individuums spielt er deshalb auch eine zentrale Rolle im Behandlungsansatz der neuromotorischen Entwicklungsförderung.
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